Stephen Moody unterrichtet Friseurinnen bei einem Paul Mitchell-Seminar in Seeheim-Jugenheim, Foto: Markus Schmidt

08.07.2024

Wie viele Coiffeure sagen zu ihren Kunden: ‚Komm nicht wieder!‘?

Stephen Moody über falsches Mindset von Coiffeuren, die Bedeutung von Education für den Salonerfolg, Konkurrenz durch Tattoo-Studios und neue Perspektiven

Stephen Moody (64), Artistic Director für Paul Mitchell, hat in seinem Berufsleben Abertausende von Friseuren geschult. Ab und zu erlebte er dabei einen „snow shovel moment“, wie man im Englischen sagt, eine Erkenntnis, die einen wie ein Schlag mit einer Schneeschippe trifft. Einer dieser Momente war, als ihm eine Kurs-Teilnehmerin in New York ihre Geschichte erzählte, um zu erklären, mit welcher Motivation sie zum Seminar gekommen sei. Sie – eine unglaublich erfolgreiche Friseurunternehmerin – sagte zu ihm: „Ich bin erst spät in die Branche gekommen, mit Mitte 20. Das Haus, in dem sich mein Salon befindet, gehört mir. Finanziell ist alles ok. Ich habe 12 Mitarbeiter, ich fahre ein tolles Auto .... Aber wenn eine Kundin mit langen Haaren zu mir kommt und kürzere möchte, sage ich ihr: ‚Du hast ein dickes Gesicht.‘ Oder ich sage ihr, dass die Frisur viel Styling-Aufwand bedeutet. Ich sage: ‚Nein, das wird dir nicht stehen.‘ ‚Du wirst wie eine Fußballer-Mutter aussehen.‘ ‚Du wirst es bereuen.‘ Ich erzähle diesen Kundinnen alles Mögliche, um die Haare lang zu belassen! Und der Grund, warum ich lüge?Ich weiß nicht, wie man Haare schneidet!

Sinkende Besuchsfrequenz im Salon

Außerdem berichtete sie Moody, dass ihre Langhaarkundinnen erst nach 6 Monaten wiederkommen. Frauen mit kürzeren Haaren nach 6 Wochen. Faktisch verliere sie dadurch Geld. Gleiches gelte für die Platzierung der Haarfarbe: Wird sie in die Spitzen und Längen aufgetragen, kommen die Kundinnen erst 4-5 Monate später wieder. Platziert man die Farbe am Ansatz, nutzt Folien und 3-4 Farben, kommen sie nach 4 Wochen. Deshalb wollte sie sich handwerklich weiterbilden.

Friseure haben ihre Kundschaft verjagt

Diese Geschichte traf Stephen Moody damals wie ein Schlag und im nächsten Moment fragte er sich: „Wie viele Friseure sagen zu ihren Kunden ‚Komm nicht wieder!‘?“ Er vergleicht dieses Verhalten mit einem Zahnarzt, der seinem Patienten absurderweise sagt: „‚Sie kommen 3-mal im Jahr zur Zahnreinigung – einmal jährlich reicht völlig. Und diese Wurzelbehandlung, da zeige ich Ihnen ein Video auf YouTube, wie Sie das selbst machen können. Und auf Amazon zeige ich Ihnen, wo Sie alles Equipment dafür finden. Sie brauchen nicht zu mir kommen.‘ Verrückt, aber genau das haben wir Friseure unseren Kunden gesagt.“

Geld verdienen durch handwerkliche Expertise

Inzwischen erkennt Stephen Moody eine Gegen-Entwicklung und pflichtet der Präsidentin der Intercoiffure Canada America, Sheila Zaricor-Wilson, bei, wenn sie feststellt, dass sich die Leute Haare, die über die Schulter hinausgehen, selbst schneiden können. Auch ein Farb-Glossing ist zuhause machbar. Aber kürzere Haarschnitte, am besten kombiniert mit Foliensträhnen, mit zwei, drei oder vier Farben, das können sie nicht so gut zuhause. Hier liegt der Umsatz für Salons. „Wir brauchen die magische Formel aus Haarschnitt, Farbe, Styling, zugeschnitten auf jeden Einzelnen.“

Gute Education macht Friseure erfolgreich

Den Schlüssel zum Erfolg sieht Moody in guter und kontinuierlicher Aus- und Weiterbildung. Schon in jungen Jahren erkannte er das. „In Education zu investieren, egal ob als Stylist, Saloninhaber oder Industrie, das ist die Formel, die Umsätze genauso wachsen lässt, wie die Kreativität und Inspiration. Bei meiner Familie habe ich live erlebt, wie das funktioniert hat.“

Jungen Frauen fehlt es an Selbstbewusstsein

Aktuell entwickelt Stephen Moody ein Seminar-Programm für junge Menschen, mit denen er sie fürs Schneiden und Färben und Styling begeistern, eine echte Verbindung zwischen ihnen und dem Friseurbusiness schaffen will. Er fokussiert sich dabei explizit nicht auf Friseure, die schon 20 Jahre im Business sind, sondern auf Mädchen und junge Frauen, 19 oder 23 Jahre alt, weil er festgestellt hat, dass es ihnen an Selbstbewusstsein mangelt. Während der Corona-Pandemie wurden die Kinder teilweise ein Jahr zuhause unterrichtet. Das macht sich in ihrer Entwicklung bemerkbar: „Wenn ich diese Kinder in den Salons unterrichte, können sie dir nicht in die Augen schauen, sie können keine Gespräche wie dieses führen. Sie sind so unsicher im Umgang mit Menschen. Aber wir sind ein People-Business! Meine Aufgabe ist es, ihnen auf ihrer Reise zum Erfolg zu helfen. Und am wichtigsten ist es, dass sie dabei Spaß haben und daran wachsen.“

Konkurrenz aus der Tattoo-Branche

Stephen Moody ist davon überzeugt, dass in Zukunft wieder mehr junge Leute Friseur werden möchten. Die Tätowier-Branche hat der Friseurbranche in den letzten 10 bis 15 Jahren, so glaubt er, auf verschiedene Weisen Konkurrenz gemacht. Sie habe ihr viele talentierte Menschen abgeworben. „Junge, kreative, künstlerische Menschen haben sich nicht im Friseursalon gesehen. Sie sind Tattoo-Artists geworden.“ Außerdem sei viel Geld in die Tattoo-Studios anstatt in die Salons geflossen. „Die Tattoo-Branche hat uns unser Einkommen streitig gemacht. Jetzt dreht sich das Ganze langsam wieder. Die Jungen wollen rebellieren, aber nicht mehr mit einem Tattoo wie ihre Mutter, sondern mit grünen Haaren oder einem Mullet. In den nächsten 3-5 Jahren kommen diese coolen Leute zurück in die Salons. Der Tattoo-Dollar oder -Euro wird wieder für Haarfarbe oder Haarschnitt ausgegeben.“

Wer ist Stephen Moody?

Stephen Moody (64) ist seit Juli 2022 als Artistic Director bei John Paul Mitchell Systems tätig. Dort ist der Haarschnitt-Spezialist für die Entwicklung der Ausbildungsprogramme für Salonpartner verantwortlich. Außerdem soll er die eine Paul Mitchell Academy in Santa Monica (USA) erfolgreich aufbauen.

Stephen Moody lebt seit fast 40 Jahren in den USA, stammt aber aus Nordengland und wuchs quasi im Salon seiner Mutter auf. Sie war eine Lockenwickler/Bouffant-Friseurin, weder finanziell noch kreativ erfolgreich, wie er sagt. Wahllos schrieb sie eines Tages einen Londoner Friseur an, der die Haare irgendwie anders machte und bat ihn, von ihm lernen zu dürfen. Er willigte ein. Drei Monate lang war sie dort, half aus und durfte von ihm lernen, wenn er abends seine Auszubildenden unterrichtete. Als sie ging, sagte sie ihm, dass er einen Haufen Geld machen könne, wenn er eine Akademie für Friseure eröffnen würde, um diese zu unterrichten. Dieser Mann war Vidal Sassoon. „Meine Familie wurde zu Educationaholics und pilgerte - wie Muslime nach Mekka - jedes Jahr nach London, um zu lernen, was neu ist.“ Mit 13 besuchte er zum ersten Mal die englische Fachmesse Salon International und war geflasht von der Energie und Internationalität. So erkannte er schon in jungen Jahren, wie wichtig Aus- und Weiterbildung für den Erfolg des Friseurs ist.

Seitenwechsel: Trainerjob für Friseure

Nach der Schule wollte Stephen Moody mit Vidal Sassoon arbeiten und seine Erfahrung mit anderen Friseuren teilen. 1980 ging er also nach London. Mit Mitte 20 beschloss er, nicht mehr im Salon zu arbeiten, sondern Friseure als Kunden zu gewinnen. Seitdem gilt ihnen seine Leidenschaft. „Ich helfe ihnen mit Informationen, Ideen, Produkten, usw. damit sie Gewinn machen und erfolgreich sind.“ Er arbeitete vor allem in den Sassoon Academys, war in Manchester und auch München. Am 19. Januar 1987 schickte Sassoon ihn nach Santa Monica, um die dortige Academy zu leiten, die damals ein finanzielles Desaster gewesen sei, 135.000 Dollar pro Jahr verlor. Mit dem Team schaffte er es dann, die Akademie von Platz 32 auf Platz 1 zu bringen, berichtet er. Nach über 30 Jahren Sassoon folgten freie Tätigkeiten für diverse Unternehmen der Branche.

Jetzt wiederholt sich die Geschichte. Nur anderthalb Blocks von der Sassoon Academy entfernt ist Stephen Moody nun für die Paul Mitchell Academy verantwortlich. Sein Ziel: Sie soll das Harvard der Friseure werden.

Stephen Moodys Blick auf Haare und Frisuren

Stephen Moody ist Fan von schulterlangen und kürzeren Frisuren. Er liebt afroamerikanisches Haar, asiatisches Haar, Latino-Haar. Einen speziellen Haarschnitt favorisiert er nicht, auch keine Haarfarbe. „Ich mag eigentlich alle. Meine Leidenschaft besteht darin, herauszufinden, wer diese Person vor mir ist. Es ist ein bisschen wie einen Maßanzug zu fertigen: Ich möchte keinen von der Stange nehmen. Mir geht es darum eine Haarfarbe zu erstellen, die zum Haarschnitt passt, zum Stil, zur Persönlichkeit, zum Lifestyle.“

Aktuell werden Mixie-Haircuts (eine Mischung aus Mullet und Pixie) wieder beliebter, so Stephen Moody. „Ich experimentiere seit 10 Jahren mit Mullets. Ich mag die Balance aus vorne kurz, hinten lang. Diesen Schnitt kannst Du sehr avantgardistisch schneiden, oder mit einem kleinen Kniff sehr kommerziell und salontauglich ausführen.“