20.07.2024
Getrennte Wege
Es schmerzt – persönlich und finanziell – wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin das Team verlässt. Gedanken dazu hat sich Saloninhaberin und Business-Coach Michelle Tanner gemacht.
„Um es gleich vorwegzunehmen, liebe Saloninhaber*innen: Wir sind das Problem! In unserer Branche wird viel über Mitarbeitermangel und das Desinteresse der jüngeren Generation an einer Coiffeurkarriere gesprochen. Chefs und Chefinnen versuchen verzweifelt, junge Talente anzuziehen und zu halten. Was in diesen Gesprächen jedoch häufig fehlt, ist ein ehrlicher Blick darauf, weshalb unser Beruf seinen Reiz verloren hat. Nun, ich sage es nur ungern, aber unsere Branche hat den Ruf, keinen Platz für eine Work-Life Balance zu lassen. Und die neue Generation? Sie toleriert dies nicht. So einfach ist das.
Eine der bedenklichsten Überzeugungen unter Salonbesitzern ist der Glaube, dass wir unsere Stylisten „besitzen“. Wir denken, dass sie uns ewige Loyalität schulden, weil wir sie ausgebildet und gefördert haben. Dies verleitet uns dazu, Stylisten offen oder unbewusst zum Bleiben zu manipulieren. Bevor Sie sich selbst davon überzeugen, dass Sie Ihre Stylisten niemals absichtlich manipulieren würden, lassen Sie mich fragen: Haben Sie jemals den Satz „Unser Team ist wie eine Familie“ verwendet? Ich habe ihn unzählige Male gehört und ihn sogar selbst benutzt, bevor ich es besser wusste. Denn eines steht fest: Sie sind keine Familie, Sie sind ein Unternehmen! Ihr Team als Familie zu bezeichnen ist eine Form der emotionalen Manipulation. Es impliziert auf subtile Weise, dass die Familie zusammenbleibt, egal was passiert.
Scheiden tut weh
Wenn jemand kündigt, schmerzt das, sowohl emotional als auch finanziell. Wir wollen diese Situation auf jeden Fall vermeiden und unsere Mitarbeiter behalten. Aber wenn Sie Ihre Stylisten zum Bleiben zwingen, entsteht genau die Situation, die Sie am meisten fürchten: Am Ende haben Sie ein Team, das Ihnen nicht vertraut und sich unsicher fühlt, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es sich nach grüneren Weiden umsehen wird. Und können wir es ihnen verdenken? Sie haben zu viele Vorgesetzte erlebt, die behaupten, ihr Team sei eine Familie, nur um dann brutal die Verbindung zu kappen, wenn ein Stylist beschliesst, sich woanders weiterentwickeln zu wollen.
Wie können Salonbesitzer also ein gesundes Arbeitsumfeld schaffen und loyale Mitarbeiter fördern? Beginnen Sie damit, zu akzeptieren, dass die Stylisten von heute, andere Erfahrungen machen werden, wollen und sollen. Nehmen Sie den Wandel an und erkennen Sie, dass die neue Generation die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, psychische Gesundheit und eine positive Arbeitsplatzkultur über alles stellt.
In den letzten sieben Jahren, seit ich meinen ersten Salon eröffnet habe, konnte ich eine beeindruckend hohe Mitarbeiterbindung erzielen, dank meiner Führungsphilosophie: „Mache es so gut, dass sie nie wieder gehen wollen.“ Indem ich die Zufriedenheit meiner Stylisten in den Vordergrund stelle, habe ich ein Arbeitsumfeld geschaffen, in dem Loyalität natürlich gedeiht. Glück sieht für jeden anders aus. Daher ist der beste Weg herauszufinden, was Ihr Team glücklich macht, es direkt zu fragen. Ich nutze dazu vierteljährliche Einzelgespräche und einen jährlichen Fragebogen. Infolgedessen habe ich Änderungen vorgenommen, wie z.B. den Mitarbeitern an ihrem Geburtstag freizugeben, Teilzeitarbeit anzubieten, Samstagsarbeit optional zu machen, unbegrenzten unbezahlten Urlaub zu gewähren, Weiterbildung während der Arbeitszeit zu planen und ein nachvollziehbares Überstundensystem einzuführen.
Haltung bewahren
Die wahre Herausforderung stellt sich jedoch, wenn der erste Mitarbeiter beschliesst, zu gehen. Seien wir ehrlich: Wir alle hoffen, dass wir den perfekten Salon geschaffen haben, dass uns nie jemand verlässt und wir alle glücklich bis ans Ende unserer Tage zusammenarbeiten werden. Wenn dann das Unvermeidliche passiert, fühlen wir uns verletzt, enttäuscht und vielleicht sogar finanziell besorgt. Das sind alles berechtigte Gefühle, aber bitte, bitte, halten Sie diese von Ihrem Team fern! Der Rest des Teams wird Ihre Reaktion genau beobachten. Das ist die Gelegenheit, ihnen zu zeigen, dass Sie anders sind, und nur weil ein Mitarbeiter beschlossen hat, zu gehen, bedeutet das nicht, dass Sie diesen weniger oder nicht mehr schätzen.
Eine Kündigung ist nie angenehm. Doch ist der erste Schock verflogen, wird Ihnen vielleicht klar, dass es sich eigentlich um ein Geschenk handelt. So erging es mir. Die Arbeit in meinen Salons bietet grossartige Möglichkeiten. Wenn also einer meiner Angestellten beschliesst, zu gehen, weiss ich tief in mir, dass es die richtige Entscheidung ist. Ich möchte nicht, dass jemand in meinen Geschäften arbeitet, der nicht wirklich Teil des Teams sein möchte, und das sollten Sie auch nicht wollen!
Als Salonbesitzer sind Sie nicht der „Eigentümer“ Ihrer Mitarbeiter, also gewöhnen Sie sich daran, dass Sie Teammitglieder verlieren werden. Und sollten Sie ein Stylist sein, der einen Salon verlässt, dann gehen Sie respektvoll mit der Situation um. Brechen Sie nie die Brücken hinter sich ab, egal auf welcher Seite Sie stehen, denn Sie wissen nicht, ob Sie diese nicht eines Tages wieder überqueren möchten.“
Alle Fotos: Rabea Hüppi/www.yard.ch, www.photopulse.ch
Michelle Tanner
Die gebürtige Australierin ist seit über 20 Jahren mit Leib und Seele Hairstylistin. Mit „The Place“ besitzt sie zwei weitläufige Salons im Industrial-Style in Zug und Luzern und gibt zudem als Salon-Coach und Stylist-Educator ihr Wissen weiter.
Mehr Infos: www.theplace.ch
@michelle_the place